Die Kine-Exakta II – ein technisches Meisterstück
Ein Stück Kamerageschichte
Mit der Kine-Exakta wurde ab 1936 die erste einäugige Spiegelreflexkamera für 135er-Film in Serie produziert. Zeitgleich war mit der «Sport» eine andere frühe SLR-Kamera für Kleinbildfilm in Entwicklung, doch diese wurde erst nach 1936 in Russland in grossen Stückzahlen hergestellt und tauchte in der westlichen Welt kaum auf.
Die erste Kine-Exakta kam also 1936 auf den Markt und wurde bis 1940 produziert. Dann musste die Kameraproduktion, wie bei den anderen bedeutenden deutschen Herstellern, kriegsbedingt eingestellt werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die ersten Exaktas aus Vorkriegsbeständen hergestellt. Die genaue Einteilung und Unterscheidung von Varianten der Exakta-Kameras ist recht schwierig und wird teilweise auch heftig diskutiert. Die Kine-Exakta II war das Nachfolgemodell, das ab Februar 1949 bis 1950 gebaut wurde. Die grundsätzliche Konstruktion wurde nicht verändert. Es sind lediglich äussere Modifizierungen erkennbar. So war als auffälligstes Merkmal die Frontplatte aus einem Stück gefertigt. Weiterhin war eine breite Palette an Objektiven und Zubehör verfügbar.
Die erste Kine-Exakta
Quelle: Hans-Peter Scholz, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Welche Variante?
Wie bereits erwähnt, besteht die Frontabdeckung der Kine-Exakta II aus einer einzigen Platte. Diese wurde ab Juli 1949 leicht modifiziert: Die obere Kante wurde leicht gebördelt. Bei der vorliegenden Kamera ist es etwas schwierig, sie in der Reihe der Variationen einzuordnen. Die Frontplatte weist oben eine scharfe Kante auf, was auf ein Modell vor Juli 1949 hinweist. Die fehlende Gewindebuchse über den beiden Blitzkontakten deutet gemäss Peter Longden (Ihagee – the Men and the Cameras, Seite 110) auf eine Produktionszeit ab Juli 1949 hin. Was völlig verwirrt, ist die modernere Blitzbuchse vorne rechts an der Kamera. A. Neill Wright beschreibt in seiner Publikation The Collector’s Checklist of Exakta and other Ihagee Cameras Lenses and Accessories auf Seite 25 solche Modifikationen, die oft später noch vorgenommen wurden.
Der Zeit voraus – und doch in die Sackgasse
Schon früh baute Ihagee einäugige Spiegelreflexkameras für Platten und Planfilm. Doch mit den ersten Kameras der Exakta-Reihe gelang den Ingenieuren eine technologische Meisterleistung. Es ist beeindruckend, was alles in diese Kamera verpackt wurde. Mit allen angebotenen Funktionen waren die Kine-Exaktas in professionellen Einsatzszenarien äusserst beliebt. Dieser Umstand brachte auch eine reichhaltige Palette an Objektiven und Zubehör hervor. Die Kameras konnten beispielsweise für Makroaufnahmen und, mit Aufsätzen, an Mikroskopen genutzt werden.
Das von oben betrachtet trapezförmige Gehäuse entspricht nicht der Designnorm anderer Kameramodelle. Diese Form und das grundlegende Konstruktionskonzept wurden mit nur wenigen Änderungen bis ins Jahr 1972 beibehalten. Leider verpasste es der Hersteller, in direkter Konkurrenz zu den aufstrebenden japanischen Kameraherstellern, die nötigen technischen Neuerungen umzusetzen. Von 1967 bis 1972 wurde mit der Exakta VX 1000 das letzte Modell der traditionellen Exakta-Reihe produziert, in den letzten Jahren unter Führung des VEB Pentacon. Es folgte mit der Exakta RTL 1000 zwar noch ein Modell, das sich den Merkmalen der Prakticas näherte, doch dann war die Zeit der Exaktas endgültig zu Ende.
Äussere Merkmale – die Frontseite
Die Kamera ist nicht ganz intuitiv zu bedienen, wenn man an andere Modelle von Spiegelreflexkameras gewohnt ist. Aber das macht sie besonders interessant. Es gibt Konzepte, die wirklich überraschen. Schauen wir uns die Kamera mal im Detail an und beginnen auf der Frontseite. In der Mitte ist das Objektiv zu erkennen. Für die Exakta-Modelle wurde der proprietäre Exakta-Mount entwickelt. Mit diesem Bajonettanschluss können Objektive leicht und schnell gewechselt werden. Zum Lösen wird der Arretierhebel, der rechts direkt neben dem Objektiv zu erkennen ist, leicht nach unten geschoben. Schon lässt sich das Objektiv nach einer Vierteldrehung abnehmen. Dann kommt der Flansch für die Objektivmontage zum Vorschein.
Beim Objektiv der hier vorgestellten Kine-Exakta II handelt es sich um ein [[Meritar 50mm 2.9]] der Firma E. Ludwig. Dies war ein äusserst preiswertes Objektiv. Es wurde ab 1951 (Quelle) für den Einsatz an der Exa mit entsprechendem Anschluss angeboten. So passte es bestens zu der, im Vergleich zur Exakta recht günstigen, Exa. Die ersten Aufnahmen haben mir bestätigt, dass von diesem Objektiv keine optischen Wunder erwartet werden können.
Weiter oben ragt der Auslöser aus der Kamerafront. Die Lage ist in zweierlei Hinsicht speziell. Einerseits scheint die Bedienung mit der linken Hand nicht den gängigen Standards zu entsprechen und ist für Rechtshänder gewöhnungsbedürftig. Meist sind die Auslöser auf der Oberseite der Kamera zu finden, doch vermindert die Positionierung auf der Frontseite sicher die Verwacklungsgefahr beim Auslösen mit längeren Verschlusszeiten.
Bemerkenswert sind bei der vorliegenden Kamera wohl die vorhandenen Blitzanschlüsse. Links neben dem Objektiv sind untereinander angeordnet die zwei Buchsen für den Anschluss von Vakublitzen (Prospekt 1950, PDF) zu erkennen. Etwas ungewöhnlich scheint der unten rechts neben dem Objektiv verbaute Blitzanschluss in Form einer PC-Buchse zu sein. Diese wurden erst ab 1953 in den Exakta Varex Modellen verbaut (Quelle).
«HighTech» auf der Oberseite
Mittig auf der Kameraoberseite liegt der wuchtige Schachtsucher, der im nächsten Abschnitt im Detail beschrieben wird. Auf der linken Seite befindet sich der Filmaufzugshebel, umgeben vom Filmzählwerk, das sich im Gegenuhrzeigersinn auf die Startposition drehen lässt. Hier müssen sich Rechtshänderinnen und Rechtshänder etwas umgewöhnen, da dieses Bedienelement bei anderen Kameras meist auf der Oberseite rechts liegt. Links neben dem Schachtsucher ragt der Knopf für die kurzen Verschlusszeiten von 1/50 bis 1/1000 Sekunde, ergänzt durch die Einstellungen B (Bulb) und Z (Zeit), aus der Kamera. Doch es sind noch längere Verschlusszeiten möglich. Diese werden auf der Kameraoberseite rechts aussen über den Zeitwerkknopf gewählt und reichen von 1/5 Sekunde bis 12 Sekunden. Wie all diese Zeiten eingestellt werden, wird weiter unten im Detail erklärt.Zwischen Filmaufzugshebel und Verschlusszeitenknopf ist ein Kipphebel zu erkennen. Damit der belichtete Film am Schluss zurückgespult werden kann, wird er nach oben gekippt.
Der Schachtsucher
Der Schachtsucher springt durch Drücken des Knopfes auf dessen Rückseite auf und gibt den Blick von oben auf die Mattscheibe frei. Das aufzunehmende Motiv ist jedoch nur sichtbar, wenn die Kamera gespannt ist, da die Kine-Exakta II noch nicht über einen automatischen Rückschwingspiegel verfügt. Erst durch die Betätigung des Schnellspannhebels wird der Spiegel 45 Grad nach unten geschwenkt. Bei der Auslösung springt er wieder nach oben und verhindert in diesem Zustand erneut den Blick durchs Objektiv.
Mit einem Schachtsucher lässt sich der Bildausschnitt exakt bestimmen. Bei feinen Einstellungsarbeiten kann die integrierte Lupe mit dem an der rechten Schachtseite liegenden Hebel hochgeklappt werden. Sie vergrössert das Bild und ermöglicht so eine exakte Fokussierung. Die Lupe wurde im Vergleich zur ersten Kine-Exakta überarbeitet. Sie lag zuerst direkt über der Mattscheibe, wodurch nur ein Ausschnitt des Bildes vergrössert werden konnte. Bei der Kine-Exakta II wurde die Lupe angehoben und kann am oberen Ende des Lichtschachtes ausgeklappt werden. So wird das gesamte Sucherbild vergrössert.
An der linken Sucherschachtseite ist vorne ein Stift montiert, der nach unten ins Kameragehäuse ragt. Wird der Sucher geschlossen, fährt der Stift tiefer ins Gehäuse und blockiert den Auslöseknopf. So schützt der Schachtsucher in geschlossenem Zustand vor unbeabsichtigten Auslösungen.
Herausforderung Hochformat
Den Film einlegen
Mit dem Schieber an der linken Kameraseite wird zunächst die Kamerarückwand entriegelt. Sie lässt sich anschliessend in einem Stück vollständig abnehmen. Damit die Filmpatrone eingelegt werden kann, muss zuerst der Rückspulknopf auf dem Kameraboden so weit wie möglich aus dem Gehäuse gezogen werden. Nun wird die Patrone in die rechte Kammer eingelegt, was im Vergleich zu den meisten Spiegelreflexkameras für Kleinbild eher ungewohnt ist. Die Filmlasche wird unter die Federzunge der Aufnahmespule geschoben. Dies fällt nicht immer leicht, doch garantiert die hohe Andruckkraft einen sicheren Halt. Durch Drehen der Aufnahmespule wird der Filmstreifen sorgfältig gespannt, bis beide Zahnkränze der Transportwalze in die Perforation greifen.
Beim Schliessen der Rückwand muss darauf geachtet werden, dass der Kameraboden und die untere Kante der Rückwand in der Nut des Rückspulschlüssels sitzen. Nur so lässt sich die Kamera absolut lichtdicht verschliessen.
Bevor die erste Aufnahme gemacht werden kann, muss der Schnellspannhebel zweimal mit anschliessender Auslösung betätigt werden. Hier darf nicht vergessen werden, dass eine Auslösung nur mit geöffnetem Schachtsucher erfolgen kann. Anschliessend wird der Schnellspannhebel ein drittes Mal betätigt und danach die Scheibe des Filmzählwerks in Pfeilrichtung auf die Nummer 1 gestellt. Die Kamera ist nun für die erste Aufnahme bereit.
Verschlusszeiten einstellen
Die gängigen Verschlusszeiten von 1/1000 bis 1/25 Sekunde werden über den Zeiteinstellknopf links neben dem Schachtsucher eingestellt. Dazu wird der äußere Ring des Knopfes hochgehoben und in Pfeilrichtung im Gegenuhrzeigersinn auf die gewünschte Verschlusszeit gedreht.
Doch die Kine-Exakta II bietet noch weitere Möglichkeiten, den Tuchschlitzverschluss zu kontrollieren. Rechts oben auf der Kamera befindet sich der Knopf, mit welchem das Vorlaufwerk bedient wird. Und hier wird es etwas komplizierter, denn dieser Knopf steuert zwei Funktionen. Schauen wir uns diese doch im Detail an!
Es ist möglich, mit dem Einstellrad des Vorlaufwerkes längere Belichtungszeiten von 1/5 Sekunde bis zu 12 Sekunden zu erreichen. Zuerst wird der Schnellspannhebel betätigt und danach das Vorlaufwerk im Uhrzeigersinn vollständig aufgezogen. Für diese langen Verschlusszeiten muss das Verschlusszeitenrad links neben dem Sucher immer auf B oder Z eingestellt sein. Auf dem Skalenbereich 1/5 bis 12 können nun die langen Zeiten bis zu 12 Sekunden eingestellt werden.
Zeitverzögerte Auslösung
Um die zeitverzögerte Selbstauslösung zu nutzen, wird ähnlich vorgegangen. Für die kurzen Verschlusszeiten wird zunächst der Filmaufzugshebel betätigt und eine Verschlusszeit von 1/25 bis 1/1000 vorgewählt. Wiederum muss das Vorlaufwerk vollständig aufgezogen werden, doch spielen die Einstellungen auf dem Vorlaufwerk keine Rolle. Nach dem Auslösen der Kamera wird der Verschluss nach 13 Sekunden für die eingestellte Zeit geöffnet.
Sollen die langen Belichtungszeiten mit Vorlauf ausgelöst werden, wird ebenfalls zuerst der Schnellspannhebel betätigt und das Vorlaufwerk vollständig aufgezogen. Auf dem Verschlusszeitenrad wird B oder Z eingestellt, auf dem Drehknopf des Vorlaufwerkes eine Zeit der Skala von 1/5 Sekunde bis zu 6 Sekunden. Wiederum beträgt nach dem Auslösen die zeitliche Verzögerung 13 Sekunden, nach welcher der Verschluss für die auf dem Vorlaufwerk gewählte Verschlusszeit geöffnet wird.
Die obigen Ausführungen zu langen und zeitverzögerten Auslösungen scheinen recht kompliziert. Vermutlich wurden solche speziellen Funktionen deshalb wohl nur von geübten Fotografinnen und Fotografen genutzt.
Spezialitäten der Kine-Exakta II
Zum Schluss möchte ich noch auf zwei Spezialitäten der Kine-Exakta II hinweisen, die wohl weniger bekannt sind.
Die Kamera ermöglicht Doppelbelichtungen, doch diese Funktion ist nicht sofort ersichtlich. Um eine zweite Aufnahme zu machen, ohne den Film weiterzuspulen, geht man folgendermassen vor: Das Einstellrad für die Verschlusszeiten wird in Pfeilrichtung gedreht, ohne den äusseren Ring anzuheben. Dadurch ändert sich nicht die Verschlusszeit, sondern der Verschluss wird gespannt und der Spiegel abgesenkt. Danach kann erneut ausgelöst werden.
Von vielen Nutzerinnen und Nutzern wohl nicht beachtet, befindet sich in der Kamera zwischen Verschluss und Filmpatrone ein Filmabschneidemesser, das an einer Stange montiert ist. Wenn einige Bilder gemacht wurden und diese sofort entwickelt werden sollen, ohne den gesamten Film zu belichten, kommt dieses Messer zum Einsatz. Um den belichteten Teil des Films vom unbelichteten Teil in der Filmpatrone zu trennen, wird zuerst der kleine Knopf, der auf dem Kameraboden gleich neben dem Filmrückspulschlüssel liegt, durch Drehen gelöst. Anschliessend wird er mitsamt der dünnen Stange so weit wie möglich aus dem Gehäuse gezogen. Dadurch wird auch das Messer bewegt und trennt den Film.
In einem Wechselsack oder einer Dunkelkammer kann jetzt der belichtete Teil aus der Kamera genommen und in einer Entwicklungsdose für die spätere Entwicklung vorbereitet werden. Bei Licht kann zuletzt der unbelichtete Teil des Films noch ein Stück aus der Filmpatrone gezogen und in der Aufnahmespule verankert werden. Nach dem Schliessen der Kamerarückwand ist die Kamera für die Belichtung der übrig gebliebenen Bilder bereit.
Fazit
Die Kamera hat eigentlich alles, was man sich so wünscht – vielleicht sogar zu viele Funktionen und Möglichkeiten. Sicher sollten sich Fotografinnen und Fotografen, die diese Kamera in der Praxis nutzen möchten, gründlich mit der Bedienung auseinandersetzen und eine Gebrauchsanleitung gründlich studieren. Nur so erschließen sich die vielen Funktionen.
An gewisse Eigenheiten gewöhnte ich mich schnell. So zum Beispiel an das Laden der Filmpatrone in den rechten Teil der Kamera und den Filmtransport von rechts nach links. Dabei fühlt sich die Kine-Exakta teilweise wie eine Kamera für Linkshänderinnen und Linkshänder an. Ohne Prismenaufsatz bleiben Aufnahmen im Hochformat auch nach einiger Übung eine feinmotorische Herausforderung!